Am Montag, den 10. Oktober 2016, war der wissenschaftliche Leiter der Wilhelm-Leuschner-Stiftung, Wolfgang Hasibether, von der Arbeitsgemeinschaft „Geschichte Bad Nauheim“ eingeladen, über die Biographie Wilhelm Leuschners und seinen Widerstand gegen Hitler zu referieren. Der Vortrag war Teil der Reihe ‚Hessische Persönlichkeiten’, die die Arbeitsgemeinschaft für das Jahr 2016 geplant hatte. Bei den insgesamt neun Vorträgen war der vorletzte im Oktober 2016 der Person Wilhelm Leuschners gewidmet.
Es erstaunt immer wieder, wie wenig auch in Hessen Wilhelm Leuschner als einer der wichtigsten Politiker der Weimarer Republik heute noch bekannt ist. Auf die Frage ins Auditorium wer denn den Namen Wilhelm Leuschner vor dem Vortrag kannte, gestand die Mehrheit die Nichtkenntnis ein. Auch bei der Einführung von Armin Häfner, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft, gestand dieser ein, dass ihm Wilhelm Leuschner, wie auch viele andere Persönlichkeiten des zivilen Widerstands, lange Zeit ein Unbekannter war und monierte, dass auch innerhalb der SPD und der Gewerkschaften Wilhelm Leuschner in den letzten Jahrzehnten in Vergessenheit geraten sei. Umso wichtiger sei der Arbeitsgemeinschaft mit dem Vortrag wieder öffentliches Interesse zu wecken. Auch beim ‚Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde’ ist die von ihr im Internet veröffentlichte Biographie Leuschners mit eklatanten Fehlern behaftet. Diese wurden am Anfang des Vortrags vom Referenten berichtigt.
Wolfgang Hasibether stellte im Rahmen seiner biographischen Arbeit über Leben und Wirken Leuschners einen kurzen Überblick über die wichtigsten Lebensdaten vor. In seinen Ausführungen spielte insbesondere die Rolle Leuschners für die Gründung der Bundesrepublik und der Einheitsgewerkschaft nach 1945 eine wichtige Rolle, da dies das Erbe Leuschners verkörpert. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte 1984 in einer Rede in Bayreuth darauf hingewiesen, dass Leuschner einer der ideellen Gründungsväter der demokratischen Bundesrepublik gewesen sei. Sowohl die Einheitsgewerkschaft, wie auch die Freiheitsrechte, die verfassungsrechtlich verankert sind, gehen auch auf seinen Widerstand zurück. Dieses geschichtliche Erbe des Widerstands ist bis heute das Fundament des Sozialstaats und der Freiheitsrechte im Grundgesetz.
Im Vortrag wurden kurz die ersten zwanzig Lebensjahre von Wilhelm Leuschner in Bayreuth skizziert, seine Schulzeit und Lehre dort und danach sein Ankommen in Darmstadt, die Familiengründung dort ab 1910 und dann seine Erlebnisse im 1. Weltkrieg.
Dort bereits zeigten sich seine Führungsqualitäten, indem er am Ende als Vorsitzender des Soldatenrats den Truppenteil, in dem er Dienst tat, im November 1918 demobilisierte und die Rückführung in die Heimat organisierte. Sein Werdegang vom Gewerkschaftssekretär in Darmstadt, Stadtrat, Landtagsabgeordneter und Provinziallandtagsabgeordneter zwischen 1919 und 1926 zeigt den Aufstieg des Arbeiterjungen aus Bayreuth, der 1928 die Spitze seiner Karriere erreichte und zum Hessischen Innenminister berufen wurde.
Diese Tätigkeit als Innenminister wurde in den Mittelpunkt des Vortrags gestellt. Seine Aufbauarbeit für die demokratische Kommunalverfassung, für die Verkehrsinfrastruktur Hessens, die Ordnung des Polizeiwesens zur demokratischen Polizei im Rechtsstaat und seine innenpolitischen Auseinandersetzungen über das Landfahrergesetz, das ihm in der hessischen innenpolitischen Diskussion im Jahre 2011 herbe Kritik und Zweifel an seinem Widerstand von Teilen der hessischen CDU eintrug. Wolfgang Hasibether stellte klar, dass die Grundlage dieses Gesetzes keineswegs etwas mit der rassistischen, chauvinistischen Politik der Nationalsozialisten zu tun hatte, sondern ein ordnungspolitischer Versuch war, den Wanderungsbewegungen eine gewisse kommunale Kontrolle aufzuerlegen.
Weiterhin wurde die Auseinandersetzung um die sog. Boxheimer Dokumente im November 1931 vorgetragen. Schon zu diesem Zeitpunkt zeigte sich der Widerstand Leuschners gegen Hitler und der entschlossene Widerstandsgeist seiner Mitstreiter, Ludwig Schwamb und Carlo Mierendorff.
Der letzte Teil des Vortrags beschäftige sich mit dem Widerstand Leuschners ab 1934, nachdem er ein Jahr in KZ-Haft gewesen war, und sein Wirken im Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften sowie seine Kontakte zu allen weltanschaulichen Widerstandslagern im Militär, im Adel, in den Kirchen und der bürgerlich konservativen Opposition gegen Hitler. Sein von ihm organisiertes reichsweites Widerstandsnetz umfasste Zehntausende von ehemaligen Gewerkschaftern und Sozialdemokraten, die nach dem Putsch vom 20. Juli 1944 die politische Macht übernehmen sollten.
In der Zusammenfassung würdigte Wolfgang Hasibether den Widerstandskämpfer Wilhelm Leuschner als aufrechten Demokraten, der einer der Mitbegründer des deutschen Sozialstaats und Verfassungsvater des Grundgesetzes nach 1945 war. Insbesondere seine organisatorische Idee von der Einheit aller Gewerkschaften in einer Einheitsorganisation wurde nach 1945 bei der Gründung des DGB (in abgewandelter Form auch des FDGB in der damaligen DDR) aufgegriffen.
Wilhelm Leuschner ist damit für den deutschen demokratischen und sozialen Rechtsstaat als eine der wichtigsten Personen des 20. Jahrhunderts in die deutsche Geschichte eingegangen. Aber ebenso auch für eine europäische Friedensordnung.
Er verdient es, dem Vergessen entrissen, und so wie es in der Gedenkstättenarbeit der Wilhelm-Leuschner-Stiftung regional, national und international verankert ist, den kommenden Generationen als Vorbild vermittelt zu werden.