Onlineausstellung
Die Zeit in Berlin 1933 bis 1944 Verfolgung und Widerstand
Wilhelm Leuschner ist als hessischer Innenminister ein erbitterter Gegner der Nationalsozialisten. Im Januar 1933 wird er in den Bundesvorstand des ADGB gewählt und repräsentiert diesen im Internationalen Arbeitsamt in Genf (als Folge des I. Weltkriegs 1919 gegründet). Zur Zeit der Machtübertragung an Hitler am 30. Januar 1933 ist Leuschner in Genf, bei einer Arbeitszeitkonferenz. Anfang Februar 1933 wird er nach Darmstadt in die geschäftsführende Regierung der Weimarer Koalition zurückgerufen. Der Nazi - Reichsinnenminister Wilhelm Frick übt Druck auf die Regierung des Volksstaates Hessen aus, Leuschner als Innenminister zu entlassen. Am 26. Februar 1933 tritt er mit Wirkung zum 1. April 1933, auch wegen mangelnder Unterstützung der SPD-Fraktion, als Innenminister zurück. Zur Reichstagswahl am 5. März 1933 ist er für die SPD Wahlredner und fordert alle Demokraten auf: „Jeder bleibe an seinem Platz und verteidige die Republik“. Am 6. März wird sein Ministerium am Darmstädter Luisenplatz von der SA besetzt und die Wohnungen des Staatspräsidenten Adelung und des Innenministers Leuschner werdenvon SA-Banden durchsucht. Die Ausübung des Ministeramts ist zu diesem Zeitpunkt für Leuschner nicht mehr möglich und er zieht nach Berlin (die Familie holt er im Mai nach), um für den ADGB zu arbeiten. Im März und April 1933 knüpft er Kontakte zu den anderen weltanschaulich organisierten christlichen, liberalen und deutsch-nationalen Gewerkschaften, um eine Einheitsorganisation als Bollwerk gegen die Gleichschaltungspläne der Hitler-Regierung zu schaffen. Das Diskussionspapier des so genannten ‚Führerkreises der vereinten Gewerkschaften beinhaltet die Organisationsform und –ideologie dieser neuen, alle Arbeitenden umspannenden Einheitsorganisation der Arbeit. Er trifft sich mit Jakob Kaiser und Theodor Brauer, von den christlichen Gewerkschaften, Ernst Lemmer und Anton Erkelenz von den Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereinen und Max Habermann vom Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenverein. Das Dokument des Führerkreises ist einerseits Ausdruck des Anpassungskurses der deutschen Gewerkschaften an die NS-Machthaber, wie auch des sich regenden Widerstands gegen den NSTerror und der Gleichschaltung. Der 1. Mai wird vom NS-Regime zum ‚Tag der nationalen Arbeit' als Feiertag gesetzlich verankert und im Berliner Lustgarten tritt Hitler gemeinsam mit Hinderburg vor der ‚deutschen Jugend' auf. Anschließend wird auf dem Tempelhofer Feld bei einem Massenaufmarsch von mehr als hunderttausend Menschen in Uniformen der SA und des NS-Arbeitsdienstes von Hitler die Volksgemeinschaft beschworen. Diese soll den Klassenkampf überwinden und ‚Volksfeinde‘ ausgrenzen. Leuschner und Kaiser sind, trotz des Aufruf des ADGB an seine Mitglieder zur Teilnahme an den Kundgebungen zum 1. Mai, nicht dabei. Am 2. Mai 1933 werden die Gewerkschaftshäuser im ganzen Reich von der SA gestürmt und die führenden Funktionäre verhaftet. Leuschner wird mit dem ADGB-Vorstand im Haus an der Wallstraße in Berlin verhaftet und bis zum 5. Mai eingesperrt. Anschließend muss er mit dem zukünftigen Führer der ‚Deutschen Arbeitsfront' (DAF), Robert Ley, im Juni 1933 nach Genf und soll dort die NS-Herrschaft legitimieren. Er weigert sich und informiert die internationalen Gewerkschafter und Arbeitgebervertreter über das wahre Gesicht der NS-Herrschaft. Bei der Rückkehr nach Deutschland wird er verhaftet und der einjährige Leidensweg durch die Konzentrationslager beginnt.
Nach der Freilassung aus dem Konzentrationslager Lichtenburg trifft sich Wilhelm Leuschner mit ehemaligen A D G B - Gewerkschaftsfunktionären und mit Jakob Kaiser von den christlichen Gewerkschaften im Berliner Cafe Kranzler. Sie besprechen die Pläne des Widerstands und verabreden die Kontaktnahme
mit anderen Widerstandsgruppen aus dem kirchlichen, bürgerlichen und militärischen Lager. Leuschner kommt als ehemaliger Innenminister die Schlüsselrolle zu, diese Kontaktezu knüpfen. Neben dem Aufbau von Widerstandszellen gegen das Naziregime ist er damit beschäftigt, sich eine Existenzgrundlage aufzubauen, da ihm der hessische Nazi-Ministerpräsident Philip Jung im Juni 1933 seine Ministerpension gestrichen hatte. Leuschner und seine Familie mussten, wie der Brief seines Sohnes von 1934 zeigt, ohne jegliches Einkommen mit geliehenem Geld ihre Existenz sichern. Im Dezember 1936 gelingt es ihm, eine kleine Metallfabrik in der Eisenbahnstraße 5 in Berlin-Kreuzberg zu erwerben, die Eröffnungsbilanz zeigt ein Einlagevermögen von 5.200 Reichsmark. Mit diesem Anfangskapital, das er gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Bachmayer aufbringt, eröffnet er die Firma Leuba, in der er frühere Genossen aus der Arbeiterbewegung beschäftigt. Mit einem Patent von Ernst Schneppenhorst, der eine Metalllegierung entwickelte, produzierte er Bierschankutensilien. Der Vertrieb der Produkte führte ihn als Verkäufer seiner Erzeugnisse in viele ehemalige Gewerkschaftshäuser, die jetzt von der Deutschen Arbeitsfront beschlagnahmt waren. In dieser zweiten Phase des Widerstands gegen die Nationalsozialisten vor dem Weltkrieg gelang es ihm, in allen Reichsländern Untergrundgruppenvon gewerkschaftlichen Vertrauensleuten aufzubauen. Bis zum August 1939 hat er die Kontakte über Generaloberst Kurt Hammerstein-Equord zu den Militärs entwickelt. Die Militärs um Kurt von Hammerstein-Equord und Generaloberst Ludwig Beckwaren von Anfang an gegen Hitlers Kriegspläne und schmiedeten als Reichwehroffiziere bereits 1933 Umsturzpläne gegen das Hitlerregime. Als hessischer Innenminister hatte Wilhelm Leuschner schon in der Weimarer Republik Kontakt mit diesen Militärs, was ihm die Zusammenführung unterschiedlicher weltanschaulicher Lager des Widerstand erleichterte.
Die erste Paneel der Darmstädter Zeit beinhaltet Leuschners Zeit vor und am Anfang des Ersten Weltkriegs. Bis 1910 dauert die Zeit des Wandergesellen Leuschner und endet mit dem Studium der Bildhauerei (Grundsemester) in Nürnberg. Im Frühjahr 1910, nach der Geburt seines Sohnes Wilhelm bricht der das Studium ab und findet Arbeit in der Hofmöbelfabrik Glückert in Darmstadt. Eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit verbindet er mit gewerkschaftspolitischem Engagement.
Das erste Paneel Der Erste Weltkrieg beendet diese friedliche und berufliche Erfolgszeit. Er wird ab 1916 zuerst an der Ostfront in Weißrussland eingesetzt und ab Frühjahr 1917 gerät er in den Stellungskrieg im Westen bei Verdun. |
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Das zweite Paneel beginnt mit dem Rückgriff auf seine gewerkschaftliche Arbeit 1913 und zeigt die Zeit Ende 1918. Leuschner kehrt er aus dem Krieg nach Darmstadt zurück und übernimmt in der Revolutionszeit zunehmend politisch führende Positionen ein. Er wird Führer der südhessischen Gewerkschaften und hauptamtlicher Gewerkschafter, der das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in der Region beeinflusst. |
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Das dritte Paneel zeigt seine Arbeit als Gewerkschafter. Er setzt er sich vor allem für die Bildung der arbeitenden Menschen ein und gründet die Darmstädter Volkshochschule. Die Jugendarbeit ist ihm ein besonderes Anliegen. Er setzt sich für das Staatstheater in Darmstadt politisch ein und unterstützt den Aufbau erster Jugendherbergen. Er wird journalistisch für den sozialdemokratischen Volksfreund in Darmstadt tätig und engagiert sich für den Büchner-Preis im Jahr 1923. |
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Das vierte Paneel Leuschner wird für seine politische Arbeit gewürdigt. Neben seinem Mandat im Magistrat Darmstadt und der Provinz Starkenburg wird er ab 1924 in den Landtag des Hessischen Volksstaats gewählt und wirkt als führender politischer Vertreter der hessischen Sozialdemokratie. Ab 1926 wird er Bezirkssekretär des ADGB in Frankfurt und Mitglied des Bundesausschusses des ADGB in der Berliner Zentrale. Sein Einsatz als Vertrauensmann im Ruhrkampf 1923 gegen die Franzosen vernetzt ihn mit führenden Kreisen der deutschen Sozialdemokratie. |
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Das fünfte Paneel seine Arbeit als Innenminister steht dabei im Mittelpunkt. Im Februar 1928 wird er zum Innenminister des Volksstaates Hessen berufen. Eine fünfjährige Zeit der politischen Aktivitäten in den Schicksalsjahren der Weimarer Republik beginnt. Er entfaltet politische Wirkung im Bereich der inneren Ordnung und des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens des Volksstaates. |
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Das sechste Paneel zeigt Leuschner Kampf mit allen politischen Mitteln gegen die aufstrebende nationalsozialistische Bewegung. Er enthüllt die verbrecherischen und staatsfeindlichen politischen Absichten der NS-Bewgung mit ihrem Anführer Adolf Hitler. Die Boxheimer Dokumente bringt er zur Anzeige beim Reichsanwalt. Der Kampf ist vergeblich, der Reichsanwalt stellt die Ermittlungen gegen die Nationalsozialisten Ende 1932 ein. |
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Die Bayreuther Zeit (1890 bis 1910) – Kindheit, Jugend und Ausbildung mit Wanderschaft
Sie beinhaltet vier Paneelen, die mit Dokumenten und Bildern aus dem Archiv der Leuschner-Stiftung
den Geburtsort Bayreuth mit dem Geburtshaus und die ehemalige Vorstadt Moritzhöfen dokumentieren.
des Hauses Moritzhöfen 25.
Das erste Paneel Leuschner aus dem Jahr 1937 als Postkarte mit seiner Kennzeichnung des Geburtszimmers im ersten Stock zeigt den Geburtsort mit Stadtplan um die Jahrhundertwende, der Taufeintrag und das Geburtshaus (eine Originalaufnahme von Wilhelm |
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Das zweite Paneel veranschaulicht Kindheit und Jugend mit Familie, Schulorten in Bayreuth und Ausbildung zum Holzbildhauer bei Arthur Geyer in der Richard-Wagner-Straße 29 unweit der Villa Wahnfried von Richard Wagner (heute Richard-Wagner-Museum) |
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Das dritte Paneel zeigt die Orte der Wanderschaft, die Leuschner ab Juli 1907 als Holzbildhauergehilfe aufnimmt um seine beruflichen Fertigkeiten weiter zu entwickeln. Sein erster Gewerkschaftsausweis dokumentiert seinen Eintritt in die Holzbildhauergewerkschaft in Bayreuth im Mai 1907 nach Abschluss seiner Lehre. |
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Das vierte Paneel zeigt am Ende seiner Wanderschaft im Jahr 1909 den Ort seiner künstlerischen Ausbildung an der königlichen Kunstgewerbeschule (später Kunstakade-mie) in der Flaschenhofstraße 35 – heute Amtsgericht). |
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Ausstellung zum Leben und Wirken Wilhelm Leuschners (1890 – 1944) - Einleitung
Die nachfolgend dokumentierte Ausstellung wurde erstmals 2014 für das Wilhelm-Leuschner-Zentrum von Wolfgang Hasibether (Text – Archivabbildungen) und Christian Bölke (Graphik, Layout) konzipiert. Sie wird für die Bildungsarbeit in der Leuschner-Gedenkstätte Bayreuth eingesetzt und ist als Dauerausstellung im Leuschner-Zentrum zu besichtigen. Sie wurde auch immer wieder für Schulen verliehen und war anlässlich des 80. Todestages von Wilhelm Leuschner im September/Oktober 2024 im Liebighaus (VHS) Darmstadt aufbereitet worden und fand bundesweit Beachtung. Im Jahr 2025 wird sie vom DGB Südhessen in Darmstadt wieder öffentlich gezeigt. Geplant ist auch eine Ausstellung des DGB Nordhessens in Kassel und Marburg ab 15. September 2025.
Wir wollen auf unserer Website diese Ausstellung zugänglich machen, damit sie in der Bildungsarbeit für junge Menschen eingesetzt werden kann. Dies ist ein niederschwelliges Angebot, dessen Nutzung von uns bewusst auf unserer Website angeboten wird. Da wir auf finanzielle Unterstützung für unsere Arbeit angewiesen sind, bitte wir die Nutzung per Email an uns mitzuteilen und eine ‚Schutzgebühr‘ auf unser Konto (IBAN DE47 7735 0110 0020 4761 23) zu überweisen.
Die Ausstellung hat drei Abschnitte der Biographie Leuschners:
- Die Bayreuther Zeit (1890 bis 1910) – Kindheit, Jugend und Ausbildung mit Wanderschaft
- Die Darmstädter Zeit (1911 bis 1933) – politisches Engagement, I. Weltkrieg, Wirken in der Arbeiterbewegung und der Politik der Weimarer Republik
- Die Berliner Zeit (1933 bis 1944) – Verfolgung und Widerstand durch und gegen den NS-Staat
Zugleich ist mit der Ausstellung ein kurzes Begleitheft zur Biographie verbunden, die als Material zur didaktischen Aufbereitung der Ausstellung benutzt werden kann (link Lebenslauf-kurz.pdf).
"Anmerkungen zur Biographie Wilhelm Leuschners*
von Wolfgang Hasibether
Seit dem 15. Juni 1990 sind wir vom DGB Bayreuth und später dann die Wilhelm-Leuschner-Stiftung mit den politischen Repräsentanten der Stadt Bayreuth daran, das Leben Wilhelm Leuschners in Bayreuth und in der gesamten Republik wach zu halten. Das also seit einem viertel Jahrhundert. Damals hatten wir anlässlich des 100. Geburtstags eine Veranstaltung im Rathaus gemeinsam mit der Stadt Bayreuth durchgeführt, bei der wir über das Leben und Wirken Leuschners die Öffentlichkeit nach langen Jahren wieder an diesen großen Sohn der Stadt erinnert haben. Wilhelm Leuschner, der am 15.06. 1890 in Moritzhöfen geboren wurde, wie auch sein Geburtseintrag als Dokument in der Gedenkstätte ausweist, war ein Sonntagskind. Die Mythologie sagt von Sonntagskindern, dass sie besonders begabt seien und dämonische Wesen erkennen können und sie bekämpfen können. Wenn wir heute das Leben Leuschners betrachten, scheint an dieser jahrhundertealten Volksweisheit etwas zu stimmen. Er wurde in bescheidene Verhältnisse hineingeboren und hat dennoch von seinen Eltern sowohl eine künstlerische Begabung, wie auch eine Erziehung zum sozialen Miteinander erhalten. Durch seinen Vater Wilhelm wurde er in die Welt der organisierten Arbeiterschaft eingeführt. Wie unsere biographischen Forschungen ergeben haben, war sein Vater in der Ofenfabrik Leonhard Seiler an Arbeitsniederlegungen in den 1870er Jahren und später beteiligt. Dies dürfte auch seinen Sohn für sein späteres gewerkschaftliches Engagement beeinflusst haben. Das Geburtsjahr Leuschners 1890 war in der deutschen Geschichte ein besonderes Jahr. Der 1. Mai 1890 wurde zum ersten Mal in der Arbeiterschaft zum Demonstrationstag für die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit auf 8 Stunden begangen. Kurz nach seiner Geburt fielen die Sozialistengesetze, die Rentenversicherung fand ihren organisatorischen Beginn durch die Gründung der Landesversicherungsanstalten und der Dachverband der sozialistischen Arbeitergewerkschaften, die Generalkommission, wurde gegründet. Auch dieser historische Zusammenhang dürfte für das Leben Leuschners von Bedeutung gewesen sein. Die Tatsache, dass Wilhelm Leuschner im Juli 1926 seinen Vater beim Sterben begleitet hat, Zeichnungen in unserem Archiv wie auch in der Gedenkstätte bezeugen dies, verdeutlicht uns die enge Bindung des Sohnes zum Vater. Aus der Biographieforschung ergibt sich eindeutig, welch starke Prägung, gerade in sozialer und politischer Hinsicht, die Bayreuther Erfahrungen für Wilhelm Leuschner bedeutet haben. Die mangelnde schulische Bildung die ihm als Arbeiterkind zuteilwurde, hat ihn zeitlebens angetrieben, für die Verbesserung der Bildung der unteren Volksschichten politisch einzutreten. Seine Lehr- und Wanderjahre, die ihn durch ganz Deutschland führten und am Ende dieser Ausbildungszeit mit der Aufnahme eines Studiums an der Kunstgewerbeschule Nürnberg ihr Ende fanden, zeigen uns, dass er ständig bestrebt war, sein Wissen durch praktische Erfahrung und Selbststudium zu erweitern. Zugleich war er von Anfang an von dem Ideal der Solidarität mit seinen Berufskollegen in seinem sozialen politischen Engagement beseelt. Er übernahm früh Verantwortung in der Selbstorganisation der Arbeiterschaft und wurde bereits mit 19 Jahren Bezirksleiter des Zentralverbandes der Bildhauer Deutschlands in Darmstadt. Dies war noch während seiner Zeit der Wanderschaft. Bayreuth hat er endgültig verlassen im Alter von 20 Jahren, gründete seine Familie in Darmstadt und hatte erste berufliche Erfolge. 1907 wurde er Gewerkschaftsmitglied in Bayreuth und 1913 Mitglied der sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Darmstadt. 2 Für ihn war, wie für seine ganze Generation, der Beginn des 1. Weltkriegs eine Lebenszäsur. Anfänglich noch von patriotischen Gefühlen geleitet, lernte er sehr rasch, nachdem er Ende 1916 an die Front eingezogen wurde, die Schrecken des Krieges kennen und wandelte sich in seinen politischen Ansichten zu einem Kriegsgegner. Folgerichtig unterstützte er die revolutionären Bestrebungen der Arbeiterbewegung und ihrer sozialen und politischen Organisationen in der Forderung nach gesellschaftlicher Erneuerung. Nach der politischen Durchsetzung demokratischer gesellschaftlicher Verhältnisse durch die Revolution von 1918, die im ganzen Deutschen Reich die Eliten von der politischen Macht verdrängten, gelingt ihm auch er einen rascher politischer Aufstieg. Dieser war von folgenden Stationen gekennzeichnet: 1918 Soldatenrat an der Front und nach der Rückkehr in Darmstadt, 1919 Vorsitzender des Gewerkschaftskartells für die Provinz und die Stadt Darmstadt zugleich Landesvorsitzender der Arbeiterjugend Hessens und Einzug in den Stadtmagistrat Darmstadts für die SPD. 1922 wird er zusätzlich zu seinem hauptberuflichen Gewerkschaftsmandat SPD-Vorsitzender in Darmstadt und wird in den Provinziallandtag Starkenburg und Südhessen gewählt. Als Vertrauensmann des ADGB gewinnt er in diesem Jahr überregionales Ansehen. Er lernt die Spitzen von Partei und Gewerkschaft in Berlin persönlich kennen. Dies beeinflusst auch seinen weiteren Werdegang. 1924 erfolgt seine Wahl als Abgeordneter in Hessischen Landtag. Dort wird er für die SPD Schriftführer so etwas wie ein Landtagsvizepräsident. 1926 wird er Bezirkssekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, dessen territoriales Einzugsgebiet über die hessischen Landesgrenzen hinaus bis ins Saarland reichte. Im Februar 1928 erreicht er den Gipfel seiner Karriere mit der Aufnahme als Hessischer Innenminister in das Kabinett Bernhard Adelung. Seine Politik war stets von seiner Herkunft geprägt. Die Ideale des freiheitlichen Sozialismus, die ihn schon in Bayreuth durch sein Elternhaus prägten, finden ihre konsequente Fortsetzung in seiner Politik im Lande Hessen. Vielfältige Zeugnisse aus der Zeit der Weimarer Republik verbürgen, dass Wilhelm Leuschner zu verschiedensten sozialen Schichten sowie geistigen und wirtschaftlichen Eliten kommunikative Brücken schlagen konnte. Nicht von ungefähr ist er zum Beispiel in den Zeiten des Ruhrkampfes Anfang der 1920er Jahre der Vertrauensmann des Vorstandes des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes in Berlin und wird immer wieder bei schwierigen wirtschaftlichen und politischen Verhandlungen in den unruhigen Jahren der damaligen Republik von seinen Organisationen eingesetzt. Deshalb kannte er auch alle wichtigen Weimarer Politiker, sowohl der Arbeiterbewegung wie auch der bürgerlichen Parteien. Friedrich Ebert zählte zu seinen Freunden. Diese in 1920er Jahren geknüpften Kontakte kamen ihm später im Widerstand zugute. In seiner Zeit als Hessischer Innenminister war Leuschner unermüdlich für die Verwirklichung des republikanischen Staatsgedankens und der sozialen Grundlagen der Demokratie tätig. Die Erkenntnis, dass Demokratie ohne soziale Gerechtigkeit nicht existieren könne, ist der Kompass seiner Politik. Dies formuliert er in einer Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der Weimarer Reichsverfassung im August 1929: „Aus der politischen Demokratie muss die soziale Demokratie werden!“. Die fünf Jahre, 3 die Wilhelm Leuschner als hauptamtlicher Politiker sowohl in der Landes- und der Reichspolitik der Weimarer Zeit wirkte, waren anfänglich geprägt durch umfassende Reformen der Städte- und Gemeindeordnung Hessens. Der Versuch einer Neuordnung der Reichsländer auf der Grundlage der Reichsverfassung sollte aus Hessen Rheinfranken machen unter Einbeziehung der preußischen Provinz Hessen-Nassau mit Frankfurt als Zentrum. Aus Franken sollte ein eigenes Reichsland werden. Die zersplitterte politische Landschaft des damaligen Reichsgebiets sollte in zwölf Reichsländer mit klarer Abgrenzung zur Zentralgewalt in Berlin umgestaltet werden. Er förderte in Hessen Kunst und Kultur, unterstützte das Avantgardistische Staatstheater in Darmstadt und pflegte zahlreiche Verbindungen zu Künstlerischen Kreisen aus allen Kunstrichtungen. Carl Zuckmayer und viele andere Literaten gehörten zu seinem Freundeskreis. Er ist Mitbegründer des 1923 gestifteten Georg-Büchner-Preises. Als typischer Vertreter seiner Zeit der politischen Avantgarde war er fasziniert vom technischen Fortschritt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass er als Innenminister sich auch um die wirtschaftliche und geographische Infrastruktur seines Zuständigkeitsbereiches kümmerte. Er lies sowohl die ersten Pläne zum Autobahnbau von Hamburg nach Basel projektieren, wie auch die mögliche Einrichtung eines Flughafens in Griesheim bei Darmstadt. Wäre dies gelungen, gäbe es heute den Flughafen Frankfurt nicht. Adolf Hitler hätte seinen Arbeitsdienst beim Autobahnbau, der der erste Schritt hin zur Militarisierung bis zum Krieg war, nicht einsetzen können. Neben diesen progressiven politischen Entwicklungen, zu denen auch seine Demokratisierung des Polizeiwesens in Hessen gehörte, waren seine Amtsjahre geprägt von einem entschiedenen Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus. Sein größter Verdienst in diesem Abwehrkampf bleibt die Veranlassung der Veröffentlichung der „Boxheimer Dokumente“ im November 1931. Ein Dokument, das wir hier im Archiv aufbewahren, welches die Terrorherrschaft des nationalsozialistischen Umsturzes der Demokratie protokolliert und von den Nazis ab Januar zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung in die politische Praxis des staatlichen Terrors umgesetzt wurde. Die letzten beiden Amtsjahre Leuschners waren diktiert von diesem permanenten Abwehrkampf gegen die Nazis. Zugleich wurde er im Januar 1933 auf Veranlassung von Theodor Leipart, dem Vorsitzenden des ADGB, in den Bundesvorstand des Dachverbands gewählt und war dessen Vertreter im internationalen Arbeitsamt in Genf. Im März 1933 wurde er von den Nazis aus dem Amt gedrängt und versuchte, in diesen Zeiten des nationalsozialistischen Terrors gegen die Arbeiterbewegung, in Berlin durch den Aufbau einer Einheitsgewerkschaft mit den bisher weltanschaulich getrennten christlichen, liberalen und nationalistischen Gewerkschaften die Existenz der bestehenden Gewerkschaftsorganisation zu retten. Dies trug ihm in der Geschichtsschreibung vieler Chronisten der Arbeiterbewegung den Ruf ein, den Anpassungskurs des ADGB gegenüber dem Nationalsozialismus gefördert zu haben. Bekanntlich wurden am 2. Mai 1933 die Gewerkschaften zerschlagen und jeder Versuch, eine Gewerkschaftsorganisation am Leben zu erhalten, war damit endgültig zu Ende. Die im Archiv der Leuschner-Stiftung aufbewahrten verbliebenen Nachlassteile Leuschners zeigen eine etwas deutlichere Sicht auf seine damaligen Versuche, eine Einheitsgewerkschaft zu bilden. Dies zeigt gerade seine von den Nazis erzwungene Teilnahme an den Genfer Verhandlungen des Internationen Arbeitsamtes im Juni 1933, wo er mit dem Reichsleiter der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, vor der internationalen Weltöffentlichkeit der Arbeiter- und Arbeitgeberorganisationen die Naziorganisation der nationalen Arbeit legitimieren sollte. Er hat nicht mit beredtem Schweigen, wie es in so vielen Veröffentlichungen seit Jahrzehnten heißt, in Genf reagiert, sondern hat wie auch in unserem Archiv dokumentiert wird, die internationale Öffentlichkeit über die Naziverbrechen in 4 diesem Halbjahr 1933 offensiv informiert. Seine mutige Haltung zeigte er auch, dass er trotz Drohungen von Ley in Genf am 16. Juli 1933 nach Deutschland zurückkehrt und verhaftet wird, nachdem er am Freiburger Bahnhof die irrtümliche Verhaftung der Polizei und SA- Schergen eines falschen Mannes aufklärt und sich stellt. Das folgende Jahr in Konzentrationslagern der Nazis ist durch zahlreiche Dokumente u.a. in dem Buch von Wolfgang Langhoff „Die Moorsoldaten“ bezeugt. In dieser Zeit ist er für die Mitgefangenen ein mutiges Vorbild, an dem sich viele Verzweifelnde aufrichten können. Seine untadlige moralische Haltung zeigt er auch nach seiner Haftentlassung, die nicht zuletzt durch die Internationale Gewerkschaftsbewegung durch Druck auf das noch nicht gefestigte Hitlerregime erreicht wird. Am Tag nach seiner Haftentlassung am 10. Juni 1934 trifft er sich mit Jakob Kaiser, dem christlichen Gewerkschafter, und berät mit ihm über das Vorgehen des Widerstandes zum Sturz des Hitlerregimes. In den 10 Jahren bis zu seiner Ermordung durch die Nazis durchlebt er drei Phasen des Widerstands, des Aufbaus und der Zerschlagung von Widerstandsgruppen, die viele andere hätten verzweifeln lassen. Wilhelm Leuschner ist in der Geschichte des Widerstands der Arbeiterschaft gegen den Nationalsozialismus in Deutschland die zentrale Persönlichkeit, deren ungebrochene geistige Haltung an den Zielen der sozialistischen Bewegung für Menschenrecht und Menschenwürde festzuhalten und dem Nazi-Terror zu widerstehen. In der Phase von 1934 bis 1936 baut er mit Jakob Kaiser, dem christlichen Gewerkschafter, ein Netz von Widerstandsgruppen auf, die auch Kontakte zu Exilgruppen im Ausland unterhalten und versucht durch eine illegale Reichsleitung die Gewerkschaften als Einheitsorganisation am Leben zu erhalten. Hierzu bedient er sich der Kontakte von Überlebenden früheren Gewerkschaftsfunktionären. Die Gestapo, die ihm nichts nachweisen kann, ihn aber stetig überwacht, zerschlägt bis 1937 viele Widerstandsgruppen, wie z. B. in Bayreuth verkörpert durch Friedrich Puchta und andere Widerstandskämpfer der Arbeiterbewegung. Wilhelm Leuschner muss im Jahr 1937 von vorne anfangen. Jetzt entstehen die Kontakte zu den bürgerlichen, adeligen, christlichen und militärischen Widerstandskreisen. Viele von deren Vertretern kennt er noch aus seiner Zeit als Innenpolitiker während der Weimarer Republik. Die Volksfrontpolitik in verschiedenen europäischen Ländern setzt auch in der Reichshauptstadt ihre politischen Zeichen. Die Gruppe Hermann Brill, zu der Leuschner ebenfalls Kontakt hält, entwickelt ein Regierungsprogramm des Volksfrontwiderstands in Deutschland. Dies kennzeichnet die 2. Phase der Widerstandstätigkeit Leuschners, die ihr Ende mit Beginn des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 findet. Wieder wird das Netzwerk, das er über das ganze Reichsgebiet knüpft und für dessen Entstehen in Berlin seine Firma die Schaltzentrale war, ihr Ende. Und wieder verzweifelt er nicht, sondern beginnt von vorne. In diesem Netzwerk sind alle wichtigen Widerstandsgruppen aus allen weltanschaulichen Lagern eingebunden. Insbesondere die Militärs, mit deren Kopf des Widerstands, Generaloberst Ludwig Beck, er seit 1938 enge Verbindung hält, sind seine wichtigsten Verbündeten. Verschiedene Attentatspläne, die in Militärkreisen zum Sturz Hitlers geschmiedet werden, kennt Leuschner und soll für die zivile Unterstützung insbesondere aus der Arbeiterbewegung sorgen. So wird er mit seinem Netzwerk der Vertrauenspersonen des gewerkschaftlichen Widerstands enger Teil der Putschpläne militärischer und wirtschaftlicher Eliten im 3. Reich. 5 Studiert man die programmatischen Grundlagen des Widerstands, wird deutlich, dass Wilhelm Leuschner die eigenständige Rolle und die Emanzipation der arbeitenden Menschen als Grundlage für die zukünftige Demokratische Gesellschaft nach Hitler ansieht. Auch hierzu sind einige schriftliche Zeugnisse Leuschners in unserem Archiv. Im Gegensatz zu der landläufigen Anschauung, dass Gewerkschafter zwar gut organisieren aber wenig strategisch denken können, beweist Leuschner das Gegenteil. Sein Teil an den Reformplänen des Kreisauer Kreises und den wirtschaftlichen Vorstellung der konservativen Widerstandskreise um Carl Goerdeler zeigt deutlich, dass er auf eine wesentliche Beteiligung der arbeitenden Bevölkerung an der politischen Willensbildung drängt. Die von Leuschner bereits vor 1933 verfochtene Idee einer vereinigten, von politischen Parteien weitgehend unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, verfolgt er auch in dieser programmatischen Auseinandersetzung innerhalb der verschiedenen Widerstandskreise. Neben der vereinigten Gewerkschaftsbewegung sah Leuschner in der Sozialdemokratie die zweite tragende Säule der Arbeiterbewegung in dem neuen deutschen Staat, die jedoch nur durch eine grundlegende Reform dieser Aufgabe gerecht werden können. Der Zusammenhalt aller demokratischen Kräfte symbolisiert sich in seinem letzten Ausspruch, kurz vor seiner Ermordung: „ Morgen werde ich gehängt, schafft die Einheit!“
© Wolfgang Hasibether, Wilhelm-Leuschner-Stiftung Bayreuth